RiskLab: Mathematische Methoden zur Berechnung von Risiken der Finanzindustrie

Plattform für Forscher und Praktiker

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Page Das RiskLab, 1994 gegründet und 1999 reorganisiert, bildet einen Kristallisationspunkt angewandter Forschung im Bereich Risikomanagement an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Finanzindustrie; ein Modell für weit verzweigte Kooperationen.

Von Andreas Luig

«Gefragt sind zunehmend auch mathematische Kenntnisse, Führungsleute müssen sich heute mit quantitativen Modellen auseinandersetzen können.» Das sagte J. Ackermann, damaliger Direktionspräsident der Schweizerischen Kreditanstalt, 1993 in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung «Cash». Hintergrund dieser Aussage war die rasante Entwicklung der finanziellen Derivatgeschäfte zu Beginn der 90er Jahre und die damit verbundene Notwendigkeit des quantitativen Risikomanagements.

In diesem Umfeld wurde 1994 das RiskLab als angewandtes Forschungsinstitut zwischen Hochschule und Finanzwirtschaft gegründet. Angestossen wurde das Projekt von den drei damaligen Grossbanken, Schweizerische Bankgesellschaft, Schweizerische Kreditanstalt und Schweizerischer Bankverein, sowie den beiden ETH-Professoren Paul Embrechts und Hans-Jakob Lüthi. Das RiskLab will praxisnahe Forschungsanstrengungen im vorwettbewerblichen Bereich unternehmen und unterstützen. Hinter jedem wissenschaftlichen Forschungsprojekt soll dabei eine praxisrelevante Fragestellung stehen.

Als virtuelle Plattform aufgegleist, hat sich das RiskLab zu einer realen Forschungseinrichtung mit einem weitverzweigten Kooperationsnetzwerk entwickelt. Beiträge zum Forschungsbetrieb leisten heute die UBS, die Credit Suisse Group und die Swiss Re. Die Räumlichkeiten, die Infrastruktur und zwei Postdoktorandenstellen werden von der ETH Zürich finanziert. Dieses Modell biete — gerade auch im Vergleich zum Ausland — einen adequaten finanziellen Rahmen für den Forschungsbetrieb, sagt Uwe Schmock, seit 1999 Forschungsdirektor des RiskLabs.

Das RiskLab ist in der schweizerischen Forschungslandschaft fest verankert. Mit den drei Professuren für Finanz- und Versicherungsmathematik sowie Operations Research der ETH Zürich wird eine enge Kooperation gepflegt. Zusätzlich arbeitet das RiskLab projektbezogen mit weiteren Professoren der ETH Zürich, der Universitäten Zürich, St. Gallen und Lausanne sowie dem INRIA Sophia-Antipolis in Frankreich zusammen.

Die Führung des RiskLabs ist bis heute von grossem Konsens geprägt, wie Uwe Schmock sagt (vgl. auch nachfolgendes Interview). Oberstes RiskLab-Gremium ist ein Patronat, das sich aus dem Vizepräsidenten Forschung der ETH Zürich und den Chief Risk Officers der beteiligten Finanzindustriepartner zusammensetzt. Dieses Gremium bestimmt den globalen Budgetrahmen und die grundlegende Forschungsstrategie. Die konkrete Forschungstätigkeit wird vom Leitungsausschuss geführt, dem der Forschungsdirektor des RiskLabs, drei ETHZ-Professoren und je ein Experte der Finanzinstitute angehören. Ein Evaluierungskomitee, das im nächsten Jahr aus international führenden Finanzexperten aus Forschung und Finanzindustrie gebildet werden soll, wird in Zukunft die Tätigkeit des RiskLabs begutachten und beurteilen.

Das RiskLab hat sich in der relativ kurzen Zeit seit der Gründung bereits einen Namen in der Fachwelt geschaffen. Uwe Schmock betont, dass die aktive Informationstätigkeit einen hohen Stellenwert geniesst. Dreh- und Angelpunkt bildet dabei die Web Site (www.risklab.ch), die alle aktuellen Forschungsprojekte einschliesslich der zugeordneten Mitarbeiter und der Kontaktpersonen bei den Partnerinstituten auflistet, die Forschungsresultate in Form von Artikeln zur Verfügung stellt und auf Vorträge und Veranstaltungen hinweist.

Viel zum Aufbau des Beziehungsnetzes haben aber auch die zahlreichen Veranstaltungen beigetragen. So veranstaltet das RiskLab jährlich einen «Risk Day», organisiert Workshops über die Projektresultate und beteiligt sich an der Ausbildung der Studierenden durch Lehraufträge, Gastvorlesungen und die Betreuung von Diplomarbeiten mit Bezug zum aktuellen Portefeuille der Forschungsprojekte. «Damit schaffen wir ein breites Kontaktnetz in der Forschung und in die Unternehmen und können gleichzeitig unseren Mitarbeitern ein attraktives Umfeld bieten, in dem sie sich profilieren können», sagt Schmock.

Das RiskLab wird weiterhin eine dynamische und entwicklungsfähige Institution bleiben. So würde der Beitritt weiterer Finanzunternehmen als Partner begrüsst. Der Kontakt zwischen RiskLab und den Regulatoren sollte nach Überzeugung Schmocks intensiviert werden. Neue aufsichtsrechtliche Vorgaben, wie sie etwa «Basel II» darstellen, könnten so bereits in einem frühen Stadium Gegenstand angewandter Forschungsprojekte werden.

Ausländische Nachahmerprojekte, die bereits kurze Zeit nach der Gründung des RiskLabs auf den Plan traten, dokumentieren, dass die Idee international einem Bedürfnis von Hochschule und Industrie entspricht.

Weitere Informationen: www.risklab.ch


Interview with Uwe Schmock
Wer die Forschungsergebnisse des RiskLabs nachvollziehen will, sollte über gute mathematische Kenntnisse verfügen.

INTERVIEW: Dr. Uwe Schmock, Forschungsdirektor des RiskLabs an der ETH Zürich

«Zürich braucht qualifizierte Finanzspezialisten»

Der Finanzplatz Zürich braucht eine grosse Zahl hochqualifizierter Finanzspezialisten. Welchen Beitrag das an der ETH Zürich beheimatete RiskLab leisten kann, sagt deren Forschungsdirektor Uwe Schmock.

Mit Uwe Schmock sprach Andreas Luig

Die Forschung am RiskLab bleibt nach eigenem Bekunden strikt vorwettbewerblich. Wie lässt sich die Trennlinie ziehen, was noch vor- und was schon wettbewerblich ist?

Die Abgrenzung ist nicht leicht festzulegen; da ist im Einzelfall ein gewisses Augenmass gefragt. Ein Problem war das aber in der Praxis bisher nie, da im Leitungsausschuss, der die Forschungsprojekte genehmigt, alle Partner vertreten sind.

Wo liegt der konkrete Nutzen des RiskLabs für die beteiligten Finanzinstitute?

Das RiskLab ist eine Plattform für die gemeinsame Forschung. Die beteiligten Unternehmen können bei der Festlegung der Forschungsthemen mitbestimmen, an der Forschung aktiv teilnehmen, und sie werden nach Vorliegen der Forschungsergebnisse als erste und aus erster Hand informiert. Indirekt unterstützt das RiskLab auch den Unternehmenserfolg, indem die Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die Unternehmensprozesse, insbesondere ins Risikomanagement, einfliessen.

Mit der CS Group, der UBS und der Swiss Re unterstützen drei Unternehmen das RiskLab, die am Markt als Konkurrenten auftreten. Ergeben sich vor diesem Hintergrund kontroverse Diskussionen bei der Themenfestsetzung?

Das RiskLab will ein Kristallisationspunkt für angewandte Forschung sein. Der Input für Forschungsthemen kommt dabei nicht nur von den drei beteiligten Unternehmen, sondern ist auch das Resultat eines weltweiten Gedankenaustausches zwischen Forschern. Viele Anregungen zu unseren Projekten kommen aus Hochschulkreisen — gerade dieses Wissen gilt es, für die Finanzindustrie nutzbar zu machen. In der Regel ergeben sich keine grossen Meinungsverschiedenheiten bei der Themenfestsetzung — hier gibt es eine grosse Kompromissbereitschaft im Leitungsausschuss, einen starken Willen zur Zusammenarbeit und eine gemeinsame Vision. Die Diskussionen drehen sich eher um die genaue Fokussierung eines Forschungsprojekts und seine wissenschaftliche Ergiebigkeit.

Führt das RiskLab ausschliesslich gebundene Projekte durch oder betätigt es sich auch als unabhängige Forschungsanstalt?

Das Schwergewicht liegt bei den Projekten, die zusammen mit den drei Unternehmen definiert werden. Zusätzlich beschäftigt das RiskLab auch zwei Postdoktoranden, die bei der Wahl ihrer Forschungsthemen akademische Freiheiten geniessen, sich aber bisher ganz auf finanz- und versicherungsmathematische Fragestellungen konzentriert haben. Innerhalb des RiskLabs können auch Seminar- oder Diplomarbeiten verfasst werden, die sich thematisch mit einem Aspekt der Forschungsprojekte beschäftigen. Die Spannweite unserer Tätigkeit ist also recht breit.

Als ein Ziel des RiskLabs wird die Erhöhung der Attraktivität des Finanzplatzes Zürich formuliert. Konnte dieses Ziel erreicht werden?

Der Finanzplatz Zürich braucht grundsätzlich sehr viele qualifizierte Finanzspezialisten; wie natürlich der gesamte Finanzplatz Schweiz auch. Es ist sehr schwierig, allein in der Schweiz eine genügende Zahl solcher Fachleute auszubilden. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Zürich auch für ausländische Finanzfachleute attraktiv erscheint. Ich bin überzeugt, dass das RiskLab einen Teil zu dieser Attraktivität beitragen kann. Wir verfügen über gute Kontakte zu Forschungsanstalten und Unternehmen, werden international als Sprecher zu Symposien eingeladen und machen unsere Forschungsergebnisse via Internet allen Interessierten weltweit zugänglich. Dass diese Aktivitäten positiv ausstrahlen, zeigt auch die internationale Zusammensetzung des RiskLabs, wo neben Schweizern Staatsangehörige der USA, Dänemarks, Deutschlands, Rumäniens, Frankreichs, Schwedens und der Türkei beschäftigt sind.

Wie sichern Sie sich den Praxisbezug, um nicht Gefahr zu laufen, die distanzierte Perspektive aus dem Elfenbeinturm einzunehmen?

RiskLab Home
Page Diese Gefahr wird durch unsere Organisations- und Arbeitsform ausgeschlossen, ausserdem werden unsere Projekte meist auf Jahresbasis durchgeführt. Es besteht also ein Druck, Ergebnisse zu liefern. Zudem halten unsere Mitarbeiter Referate an Fachtagungen und befinden sich in einem ständigen Meinungsaustausch mit Fachleuten aus den Hochschulen und den Unternehmen. Ich betrachte das RiskLab als ein gutes Beispiel dafür, wie die Forderung nach einer verstärkten Zusammenarbeit von akademischer Forschung und Wirtschaft erfüllt werden kann. Der zunehmend härtere Wettbewerb verlangt, dass das Wissen der Hochschule schneller in den Unternehmensalltag einfliesst und dass umgekehrt die Erkenntnisse und Herausforderungen der Praxis die Forschung beeinflussen.

Würde es der Sache nicht dienen, die Trägerschaft zu verbreitern und weitere wichtige Institute auf dem Platz Zürich, etwa die Zurich Financial Services und die Zürcher Kantonalbank, für eine Mitarbeit zu gewinnen?

Grundsätzlich wären eine breitere Basis und ein gewisser Ausgleich zwischen Banken und Versicherungen erstrebenswert. Es wurden mit den beiden genannten Unternehmen schon Gespräche mit dieser Zielsetzung geführt. Ich könnte mir auch die Rentenanstalt/Swiss Life gut als zusätzliche Partnerin vorstellen. Konkrete Pläne stehen derzeit allerdings keine vor der Umsetzung.

Wie sieht denn Ihre Idealvorstellung für das RiskLab aus?

Wir zählen heute 12 Forscherinnen und Forscher. Die ideale Grösse sähe ich bei etwa 15 Personen. Würde das RiskLab noch grösser, wäre es für den Forschungsdirektor schwierig, alle Projekte inhaltlich zu verfolgen. Zudem wünschte ich mir einen etwas längerfristigeren Planungshorizont für RiskLab als Institution. Das RiskLab wurde bei der Reorganisation von 1999 grundsätzlich auf eine Dauer von drei plus zwei Jahren angelegt. Das heisst, im nächsten Sommer wird erstmals Bilanz gezogen, und es wird dann über das weitere Vorgehen entschieden. Aus Sicht des Forschungsbetriebes ist die regelmässige Evaluation sehr zu begrüssen, aber eine längerfristige Orientierung wäre wünschenswert. Dies ist insbesondere für unsere hervorragenden jungen Forscher von Interesse, die im Rahmen von RiskLab an ihrer Dissertation arbeiten. Eine diesbezügliche Herausforderung für alle Beteiligten ist auch die Verbindung der projektgebundenen, angewandten Forschung mit den hohen akademischen Anforderungen an eine Dissertation am Departement Mathematik der ETH Zürich. Anders formuliert: Neue mathematische Methoden können sofort angewendet werden, ihre Beweise dienen eher als Ausgangsbasis für zukünftige Entdeckungen. Hier sollte noch ein Kompromiss für die Finanzierung der Endphase der Dissertationen etabliert werden.

Wo lagen die bisherigen Themenschwerpunkte Ihrer Projekte?

Ausgehend von den Kernkompetenzen der beteiligten Akademiker lagen die Schwerpunkte bisher in der Kombination der folgenden fünf Themenkreise: Risikomasse und zugehörige Kapitalallokation, Anwendungen der Extremwerttheorie, Modellierung statischer und dynamischer Abhängigkeiten, Quantifizierung von Modellrisiken sowie die Modellierung von (Il)liquidität. Hinzu kommen numerische und statistische Fragestellungen. — Die bereits fertiggestellten Forschungsberichte auf unserem Webserver füllen ca. 1500 Druckseiten, hinzu kommen die Präsentationsfolien.

Und was können die Unternehmen daraus lernen?

Sie können, nur um ein Beispiel zu nennen, Erkenntnisse darüber gewinnen, wieviel Risikokapital sie für extreme, eventuell abhängige Verluste bereithalten sollten. Das ist vor allem im Hinblick auf Kreditausfälle ein wichtiger Faktor. Oder wir liefern den Unternehmen quantitative Erkenntnisse darüber, wie sich neue Bestimmungen der Aufsichtsbehörden auswirken könnten.

Kann auch der interessierte Laie von Ihren Forschungsergebnissen profitieren, oder setzt deren Verständnis eine spezialisierte Ausbildung voraus?

Eine quantitativ-mathematische Ausbildung ist sicher von Vorteil, will jemand die Forschungsarbeiten fundiert nachvollziehen können. Ich denke aber, wer an den von uns erarbeiteten Lösungen interessiert ist, wird auch das notwendige Vorwissen mitbringen — die nötige zeitliche Investition ist die grössere Herausforderung.


Uwe Schmock

Alter: 40 Jahre
Beruflicher Werdegang: Mathematik- und Physikstudium an der Technischen Universität Berlin und dem California Institute of Technology. Promotion 1990 an der TU Berlin bei Prof. Bolthausen mit einem Thema aus der Wahrscheinlichkeitstheorie (On the maximum entropy principle for Markov chains and processes). Anschliessend fünf Jahre Postdoktorand an der Universität Zürich bei Prof. Bolthausen und vier Jahre Credit Suisse Research Fellow an der ETH Zürich bei Prof. Delbaen. Seit 1999 Forschungsdirektor des RiskLabs.

Schweizer Versicherung, Magazin für Finanz & Assekuranz, August 2001, Nr. 8/2001, Seiten 32-34
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