Mathematische Methoden zur Risikoabwägung

Risikoforschung am «RiskLab» der ETH Zürich

Die mathematische Berechnung von Risiken spielt in der Finanz- und Versicherungsbranche eine zentrale Rolle. Seit 1994 besteht an der ETH Zürich das «RiskLab», das sich auf angewandte Forschung im Risikomanagement konzentriert und für eine engere Zusammenarbeit von Praktikern und Theoretikern sorgt. Finanziert wird es vornehmlich von der CS Group, der UBS und der Swiss Re, beheimatet ist es an der ETH.

mju. Versicherungsvertreter haben bei Uwe Schmock einen schweren Stand, wie er lächelnd zugibt. Der 40-jährige Berliner wirkt ruhig, fast etwas schüchtern gar, doch wenn im Kleingedruckten etwas unklar ist, beisst man bei ihm auf Granit. Der Mathematiker muss in Versicherungsfragen Bescheid wissen: Er ist Forschungsdirektor des «RiskLabs» der ETH Zürich, an dem sich Forscherinnen und Forscher mit Fragen der Risikoberechnung in der Finanz- und Versicherungsbranche beschäftigen.

Mathematische Risikoberechnung

Ein Risiko bleibt zwar ein Risiko, die Grösse bestimmter Risiken lässt sich jedoch immer zuverlässiger berechnen. Im Moment beschäftigen sich die «RiskLab»-Forscher unter anderem mit der besseren Modellierung der Abhängigkeiten von Risiken. Uwe Schmock Der Forschungsdirektor erklärt das so: Banken beispielsweise wissen, dass ihre Kunden eine bestimmte Zahl der gewährten Kredite nicht zurückzahlen werden. Dies geschieht oft nicht rein zufällig: Naturkatastrophen zum Beispiel vernichten die Ernte ganzer Landstriche, und sämtliche Bauern der betroffenen Gegend verlieren ihr Hab und Gut. Im «RiskLab» wird an Modellen gearbeitet, die solche Schockwirkungen in die Risikoberechnung von Banken und Versicherungen einbeziehen.

Am «RiskLab» wird zwar an konkreten Problemen aus der Finanz- und Versicherungswelt gearbeitet, wie Uwe Schmock betont. Es wird aber angewandte Forschung betrieben, die strikt «vorwettbewerblich» bleibt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen keine Aufträge der Sponsoren aus, denn die eine Grossbank will nicht, dass das Institut neue Finanzprodukte für die ebenfalls involvierte Konkurrentin entwickelt.

Vorteile für beide Seiten

Neue Methoden, die in der auf Grundlagenforschung angelegten Mathematik entwickelt werden, können im «RiskLab» dank der Zusammenarbeit von Theoretikern und Praktikern schneller in die Praxis übernommen werden. Die Forschungsergebnisse sind öffentlich auf dem Internet (www.risklab.ch) zugänglich und werden internationalen Fachzeitschriften zur Publikation eingereicht. Die Forscher präsentieren ihre Ergebnisse aber auch Spezialisten aus den Finanzzentren weltweit.

Das Institut fördert unter den Studierenden das Interesse an der Finanz- und Versicherungsmathematik und verbessert die Qualität des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Konzerne. Den Mitarbeitern der involvierten Firmen bietet es an Kursen und kleinen Konferenzen die Möglichkeit zur Weiterbildung. Die Verbindung zur Finanzwelt wirkt umgekehrt befruchtend auf die Forschung, wie Uwe Schmock betont. Wissenschafter erfahren, welche Gebiete bei Anwendern auf besonderes Interesse stossen. Viele der beteiligten Forscher und Professoren sind laut Uwe Schmock durchaus froh, ihre Fähigkeiten auch einmal an Projekten mit direktem Bezug zur Praxis einzusetzen.

Acht Forschungsprojekte

Zurzeit laufen acht Forschungsprojekte. Fünf Arbeiten basieren auf Ideen von «RiskLab»-Mitarbeitern und Professoren der beteiligten Hochschulen, drei Vorhaben brachten die Sponsoren ein. Von diesen geht eines auf einen Vorschlag der Swiss Re zurück: Versicherungen verfügen über enorme Mittel, mit denen sie im Schadensfall die Ansprüche der Versicherten decken. Im Tagesgeschäft benötigen sie diese Gelder nicht. Warum aber sollen Versicherungen hohe Risiken von Kunden abdecken, das eigene Geld jedoch konservativ im Sparstrumpf lassen? Legen die Unternehmen ihr Geld mutiger an, gehen sie ein grösseres Risiko ein - ein Risiko, das sie genaustens kennen müssen. Denn im Hintergrund warten Ratingagenturen darauf, einer in der Finanzanlage allzu kühnen Versicherung eine schlechtere Bewertung auszustellen. Dies wiederum ist Gift für Ruf und Umsatz der betroffenen Firma: Die Kunden befürchten, dass sie im Falle eines Schadens das Geld gar nicht auf dem Konto hätte, um ihn den Versicherten zu bezahlen.

Für längerfristige Prognosen ungeeignet

Es gibt zwar Modelle, die zur Berechnung des Risikos von Finanzanlagen im Rahmen von ein bis zwei Wochen gute Resultate liefern. Für längerfristige Prognosen sind sie aber ungeeignet. Weil die meisten Versicherungsverträge auf Jahresbasis abgeschlossen werden, verfügten die Versicherungen gerne über Risikowerte für denselben Zeitraum. An dieser Aufgabe wird am Institut zurzeit gearbeitet. - Der Betrieb der Forschungsstelle ist auf drei Jahre befristet. Bedenkt man, dass sechs der vierzig schlimmsten Schadensfälle der Versicherungsgeschichte der letzten drei Jahrzehnte ins Jahr 1999 fielen, dann dürfte dem «RiskLab» die Arbeit nicht ausgehen.

Projekt von ETH und Privatwirtschaft

mju. Gegründet wurde das «RiskLab» 1994 auf Initiative zweier ETH-Professoren und der damaligen drei Schweizer Grossbanken, um das mathematische Know-how des Landes für die Versicherungs- und Finanzbranche nutzbar zu machen und den Forschungsstandort Schweiz zu stärken. Das Institut existierte zunächst als virtuelle Forschungsinstitution, die ähnliche Forschungsanstrengungen an verschiedenen Universitäten koordinierte. Bei der Reorganisation im Jahre 1999 wurde die Stelle des Forschungsleiters geschaffen, und das Institut erhielt Räume in der ETH Zentrum, in denen zurzeit neun Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt arbeiten. Weitere «RiskLab»-Mitarbeiter sind an Partner-Universitäten beschäftigt. Heute zahlen die Credit Suisse Group, der UBS und die Swiss Re Beiträge an Forschungsprojekte. Die Räumlichkeiten und die Infrastruktur (sowie zwei Post-Doc-Stellen) finanziert die ETH. Kooperationen laufen an der ETH mit den Professuren für Finanzmathematik, Operations Research und Versicherungsmathematik. Externe Partner sind die Universitäten Zürich, Lausanne und St. Gallen sowie das INRIA-Institut in Sophia-Antipolis, Frankreich.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Zürich und Region, February 23, 2001, No. 45, page 45
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